«Es muss nicht ewig halten»
Teil 3: Ein Paar entschlüsselt den Weg zum Glück
Sie sind seit 12 Jahren ein Paar und beraten andere Paare im Paarsein. Ein Gespräch über die Verkümmerung der Liebe in der Schweiz.
Interview: sacha batthyany & rafaela roth
NZZ am Sonntag Magazin, 17. Dezember 2023
Frau Ambauen, Herr Rizvanovic, Sie haben Hunderte Paare begleitet, kennen die Mechanismen und das ewige Gezanke. Wir aber wollen einen Schritt zurück, an den Anfang, in die rosarote Phase: Wieso verlieben sich Menschen ineinander?
Felizitas Ambauen: Da gibt es verschiedenste Gründe, wo soll ich nur beginnen? Manche Menschen verlieben sich, weil sie denken, der andere habe etwas, was sie nicht hätten. Oder sie denken, der andere würde ihnen die Ängste nehmen und die Probleme lösen, unter denen sie litten, was allerdings eine eher ungünstige Konstellation darstellt. Oder aber, man sucht jemanden, mit dem man sein Leben teilen will.
Amel Rizvanovic: Zunächst einmal: Herzlich willkommen auf unserem Berg in Nidwalden, wir hoffen, Sie fühlen sich wohl in der Provinz.
Von hier oben sieht das Leben gleich viel angenehmer aus.
Er: Man verliebt sich, weil man wahnsinnig angezogen ist von jemandem. Es passiert einfach.
Dann ist alles nur Zufall? Man steht zur selben Zeit in derselben Bar an demselben Tresen?
Sie: Es ist zufällig, wen man trifft, aber es nicht ganz so zufällig, in wen man sich verliebt. Es gibt Dinge, die das Verliebtsein begünstigen. Ich habe mittlerweile die Erfahrung von weit über 10000 Therapiesitzungen, irgendwann beginnt man, mit intuitivem Wissen zu arbeiten, im Sinne des Psychologen Daniel Kahneman. Ich kenne die Wahrscheinlichkeiten, ich weiss, was eher funktioniert und wann es schwierig werden könnte. Wir wären mittlerweile beide sehr gut im Verkuppeln. Aber natürlich spielt der erste Eindruck eine Rolle, wie Amel sagt: Man verliebt sich bestenfalls in eine Person, weil man sie cool findet.
Cool? Was fanden Sie cool, als Sie sich das erste Mal sahen?
Sie: Interessant ist ja, dass man oft über die Dinge, die man anfänglich cool fand, später streitet. Ich fand ihn toll, weil er sich Raum nehmen konnte und gesagt hat, was er denkt. Und weil ich ihn unglaublich interessant fand. Wir haben uns in Mallorca an einem Pool kennengelernt und am ersten Tag acht Stunden lang ohne Unterbrechung geredet.
Und worüber streiten Sie sich heute?
Sie: Ich habe in meiner Familie gelernt, meine Bedürfnisse hinter die der anderen zu stellen, es durfte keine Konflikte geben, sie galten als Charakterschwäche. Amel hat hingegen gelernt, dass man Konflikte braucht, um sich aneinander zu reiben und sich auszutauschen. Es sind verschiedene Konzepte. Wir mussten also lernen, gut zu streiten.
Wir verlieben uns auch in Äusserlichkeiten. Sind das nicht dumme Startvoraussetzungen, dass man auf etwas setzt, was verschwindet?
Er: In der Regel spricht uns ein Gesamtpaket an.
Klingt sehr technisch.
Er: Lassen Sie mich doch ausholen. Die Anziehung ergibt sich nicht nur aus dem Äusseren, es geht darum, wie jemand wirkt, es geht um Ausstrahlung und Präsenz und darum, ob es jemand schafft, dass wir uns gesehen fühlen. Und das alles verändert sich über die Jahre, das macht Beziehungen erst spannend. Klar, es gibt die Routine, der Alltag ist unvermeidlich. Die grosse Herausforderung ist, dass man attraktiv und interessant bleibt, eben nicht nur äusserlich, sondern in der Gänze.
Wie bleibt man für jemanden für immer interessant? Klingt schrecklich anstrengend.
Er: Für immer klingt tatsächlich erschlagend. Es gibt viele Gründe, zusammenzubleiben. Manche sind aus Bequemlichkeit zusammen oder aus Angst, allein zu sein. Aber das Ziel sollte sein, dass man eine Beziehung hegt und pflegt und gemeinsam zum Erblühen bringt.
Was kochen Sie Frau Ambauen, wenn Sie ihr eine Freude machen wollen?
Er: Fleischloses: Minestrone oder Chili sin Carne.
Sie: Parmesansaucen-Spaghetti. Mit Trüffel.
Wir haben gelesen, dass Sie sich hier in dem Haus, in dem Sie aufgewachsen sind und jetzt mit Herrn Rizvanovic leben, gerne in Ihr ehemaliges Kinderzimmer zurückziehen. Was suchen Sie dort, Frau Ambauen?
Sie: Einen Safe Place. Das war immer so. Ich schlafe jede Nacht da. Wir schlafen getrennt, weil wir besser schlafen, wenn wir nicht beieinander sind.
Würden Sie Langzeitpaaren zu getrennten Schlafzimmern raten?
Er: Ich würde sogar zu getrennten Wohnungen raten, aber das ist finanziell schwierig. Ich würde es sicher jenen raten, die ein Problem mit der Schlafqualität haben. Umso spezieller ist es, wenn man sich einmal im Schlafzimmer trifft. Jeden Morgen um 5 Uhr 30.
Ach, Sie haben noch Sex?
Sie: Ja, haben wir. Aber um 5 Uhr 30 treffen wir uns zum Lesen und Kaffeetrinken.
Was sind kleine Zeichen, an denen Sie merken, dass Herr Rizvanovic wieder einmal Sex haben möchte?
Sie: Indem er mir sagt, wie wichtig es ihm ist, dass wir die geblockten Zeiten in der Agenda frei halten.
Und umgekehrt?
Er: Blumige Metaphern.
Jetzt sind wir gespannt.
Sie: Nichts für die Öffentlichkeit, aber er hat recht.
Nennen Sie fünf Eigenschaften, an denen Sie ein gutes Paar erkennen, Frau Ambauen!
Sie: Etwas vom Wichtigsten finde ich, dass sich ein Paar ausreden lässt, denn nur so entsteht Verständnis füreinander: Welche Bedürfnisse hat die andere Person? Was beschäftigt sie? Zuhören ist ebenso essenziell. Ein Paar sollte eine Offenheit behalten. Man sollte sich zeigen können, wie man wirklich ist. Die zentrale Frage hierbei lautet: Welche Masken trägt man – und warum? Kann man Verletzlichkeit zeigen? Nicht zuletzt finde ich wichtig, dass man als Paar gemeinsam lachen kann.
Wenn Sie befreundete Paare sehen, was könnte ein Indiz sein, dass es bei denen nicht mehr stimmt?
Sie: Ich analysiere meine Freunde nicht, wenn ich sie abends in der Bar treffe, und ich gebe auch keine therapeutischen Ratschläge, es sei denn, ich werde gefragt. Was mir spontan zu Ihrer Frage einfällt: Schaut sich das Paar noch an? Das könnte ein solches Indiz sein. Man spricht von Resonanz. Sind Paare noch neugierig aufeinander, wissen sie, was beim anderen läuft?
Sie haben sich gerade so angeblickt. Sie sind seit zwölf Jahren zusammen: Sind Sie ein gutes Paar?
Er: Was heisst das schon, ein «gutes» Paar: wenn man lange zusammenbleibt? Viele Therapeuten haben das Gefühl, sie müssten eine Beziehung oder eine Ehe reparieren, aber das halte ich für Blödsinn. Die Qualität einer Paarbeziehung hat mit der Dauer wenig zu tun. Es geht vielmehr darum, über einen gewissen Zeitraum glücklich zu sein. Insofern denke ich schon, dass wir ein gutes Paar sind.
Sie: Neulich hörte ich eine Rede der berühmten amerikanischen Paartherapeutin Esther Perel, in der sie sagte, sie hätte ihren Partner über Tinder nie kennengelernt, weil sie ihn anfänglich doof fand. Und heute seien sie vierzig Jahre zusammen, worauf sie eine Kunstpause einlegte, in der alle zu klatschen begannen. Perel fuhr fort: «Ihr seid jetzt alle in die Falle getappt. Eine lange Beziehung heisst nicht, dass sie gut ist.»
Woher stammt diese Meinung, dass Beziehungen lange halten müssen?
Sie: Ich erlebe das nicht mehr so in meiner Praxis. Es muss nicht ewig halten. Die Partnerschaft wird mit allem möglichen überfrachtet und muss verschiedenste Erwartungen erfüllen: Der Partner soll mich ergänzen, glücklich machen, aber ja nicht zu viel fordern. Heute kommt hinzu, dass man eine gute Beziehung konnotiert mit möglichst wenig Verzicht.
Er: Das ist die Haltung der jüngeren Generationen. Wenn es mir nicht guttut, wenn es unangenehm wird, wenn es mich einschränkt, ist es schlecht. Dennoch prägt uns die gesellschaftliche Norm, zusammenzubleiben. Viele haben das Gefühl, versagt zu haben, wenn sie sich trennen und denken, sie seien gescheitert. Sie wollen es den Kindern nicht antun, hadern damit, es nicht geschafft zu haben. Dabei müsste man in vielen Fällen sagen: «Endlich! Schön, seid ihr getrennt.»
Sind es die Religionen, die uns die Liebe vermiesen?
Er: Aber selbstverständlich. Wobei ich nicht von Vermiesen reden würde. Die Religionen sind Hauptträgerinnen von Normen und Dogmen. Das haben sie alle gemeinsam: Sie sorgen für Kontrolle und Ordnung, und sie stiften Sinn. Sie definieren, was richtig ist und falsch, gut und böse. Die Säkularisierung und die Kirchenaustritte gerade in den vergangenen Jahren lassen ein Vakuum entstehen, das viele mit dem Beruf und der Arbeit einerseits und dem Partner und den Beziehungen andererseits stopfen. Arbeit und Beziehung sind Sinnspender geworden.
Sie sind die Gewinner dieses Trends: Psychologinnen und Paarberater sind die neuen Heiligen.
Er: Wir gewinnen immer!
Sie ironisieren gerne, Herr Rizvanovic.
Er: Hat mit der Kindheit zu tun. Aber Scherz beiseite.
Sie: Es gibt tatsächlich eine Überschneidung zwischen der Religion und der Psychotherapie. Beides kann eine Ressource und Hilfeleistung sein in bestimmten Momenten. Aber eben auch ein Werkzeug der Manipulation, das sehe ich durchaus kritisch. Während Corona ist nicht nur der Berufsstand der Virologen, sondern auch der Therapeuten extrem «entexpertisiert» worden.
Plötzlich war jede Nachbarin eine Psychologin.
Sie: Genau. Plötzlich war Mental Health überall ein Thema, was ich zwar einerseits gut finde. Aber andererseits gab es auch viel Unsinn, Scharlatane, die One-fits-all-Lösungen anbieten: Drei Sitzungen, und alles wird gut! Kommt hinzu, dass wir Therapeutinnen neuerdings Konkurrenz von Tiktok erhalten, indem Menschen in Kurzvideos irgendwelche Allerweltsdiagnosen abgeben und Tausende erreichen. Das Tiefen- und Erfahrungswissen aber fehlt.
Sie geben zwar keine Tiktok-Diagnosen ab, aber Sie füllen Säle, Frau Ambauen, sind öffentlich bekannt und erreichen unzählige Menschen mit Ihrem Podcast und Ihrem Buch. Hätten Sie gedacht, als Sie vor zwanzig Jahren begannen, dass Sie mit Ihrer Arbeit berühmt werden?
Sie: Als ich begann, musste ich vielen Menschen erklären, wozu es so etwas wie Paartherapie überhaupt braucht. Heute ist man viel offener. Ich habe Jahre darüber nachgedacht, wie man Menschen niederschwellig mit fundiertem Inhalt erreichen kann. Der Podcast ersetzt keine Therapie, aber im besten Fall regt er etwas an, spendet Trost, gibt Inputs. Dass ich damit Säle fülle, ist natürlich absurd.
Ist es ein Problem für Sie, Herr Rizvanovic, dass Sie weniger berühmt sind als Ihre Frau?
Er: Ich habe zwei gute Eigenschaften. Ich mache anständigen Kaffee und zweitens: Neid und Eifersucht sind bei mir nicht ausgeprägt. Wäre ich anders gestrickt, würde ich unter dem Erfolg von Feli leiden.
Sie: Hätte ich einen Partner, der damit Mühe hätte, hätte ich es vielleicht nicht gemacht, weil ich im Zweifel die Beziehung höher gewichte als den beruflichen Erfolg. In der Zeit, in der ich gemeinsam mit Sabine Meyer das Buch geschrieben habe, starb meine Mutter, das war alles sehr turbulent. Wenn er damals gesagt hätte: «Hör mal, so war das nicht vereinbart, dass ich den ganzen Laden schmeissen muss, während du dich kreativ selbst verwirklichst», hätte ich vielleicht nicht weitergeschrieben.
In einer Ihrer Podcast-Folgen sprechen Sie von der toxischen Weiblichkeit als Antwort auf die toxische Männlichkeit und meinen damit diese Unterwerfung, von der Sie gerade sprechen. Von der Überanpassung an den Mann. Dieses Sich-klein-Machen, kennen Sie das?
Sie: Natürlich. 99 Prozent der Frauen kennen das.
In einem Interview sagten Sie, Sie wollten unbedingt Katzen, aber Ihr Mann nicht. Haben Sie sich endlich durchgesetzt?
Sie: Die Katzen sind ein grosses Thema bei uns.
Er: Feli ist mit Katzen aufgewachsen. Ich bin glücklich ohne. Die Katzenfrage schwelte lange im Hintergrund, aber für Feli war es schwierig, sie anzusprechen, sie ging dem Konflikt aus dem Weg. Bis sie mir, ich war gerade weg, eine sehr emotionale E-Mail schickte, deren Grundbotschaft lautete: Ich will – wirklich – eine Katze.
Sie: Worauf er zurückgeschrieben hat: «Wenn es dir so wichtig ist, werde ich dem nicht im Wege stehen.» Jetzt haben wir zwei Katzen.
Er: Das Wichtigste an dieser Geschichte ist: Wir sind uns unserer Dynamik bewusst geworden, und wir haben ein paar Werkzeuge, um damit umzugehen. Feli schreibt mir beispielsweise Mails, wenn sie das Gefühl hat, dass sie meine unmittelbare Reaktion nicht abfangen will.
Wie viel Patriarchat steckt in Ihnen, Herr Rizvanovic?
Er: Wir sind alle Teil des Systems, und das ist nach wie vor patriarchal geprägt. Ich bin in Ulm aufgewachsen, habe aber bosnische Wurzeln. Bei uns herrschten traditionelle Rollenbilder, die strenge Hand meines Vaters. All diese Glaubenssätze hallen nach, aber ich habe mit den Jahren einen reiferen Umgang mit ihnen gelernt.
Welche Glaubenssätze?
Er: Du musst stark sein, Gefühle sind Weiberkram, und wenn dann etwas ist, dann machst du es mit dir selber aus. Das ist kompletter Müll. So funktionieren wir Menschen nicht, das habe ich schnell gemerkt. Ich bin jung Vater geworden, da lernt man schwierige Seiten von sich kennen. Dazu kamen die Trennung von meiner Exfrau und damit verbundene Erdbeben, die dazu beigetragen haben, dass ich jetzt besser verstehe, wer ich bin. Wenn man sich trennt, ist es ja das Einfachste, dem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das passiert vielen Paaren. Schwieriger wird es, wenn man sich fragt: Was waren deine Anteile? Dann beginnt es in dir drin zu knirschen.
Der Ursprung aller Paarstreitereien ist das Patriarchat, korrekt?
Sie: Nein, die Schwiegermutter.
Klar.
Sie: Das war natürlich ein Witz. Vor fünf Jahren hätte ich die Frage, wie entscheidend das Patriarchat für die Paardynamik ist, anders beantwortet. Heute sage ich: keine Therapie ohne die Gesellschaftsebene. Der Einfluss der Religion und des Patriarchats ist immens und spielt auch in meiner Prägung eine grosse Rolle.
Er: Es gibt ein Modell von Howard Markman, einem amerikanischen Therapeuten, der von drei Elementen hinter allen Paarkonflikten spricht. Es geht entweder um Kontrolle, Autonomie und Macht, um Gesehenwerden und Wertschätzung oder, drittens, um die Bindung. Also selten um Geschirrspüler oder um die Unordnung, obwohl man immer über solche Dinge streitet, aber das sind Schattenkämpfe. Es geht oft um das Darunterliegende, das oft von gesellschaftlichen Kräften geprägt ist wie dem Patriarchat oder der Religion.
Sie: Warum verziehen Sie jetzt Ihr Gesicht?
Weil Sie für alles ein Modell haben. Und weil man von Therapeuten immer hört, es gehe um die darunterliegenden Dinge. Vielleicht waren unsere Grosseltern zufriedener, die sich nie um solche Fragen kümmerten und einfach zusammen waren. Findet das Glück nur, wer an sich arbeitet?
Sie: Die Frage ist, was Glück bedeutet. Ist es die Abwesenheit von Unglück? Ist Glück, sich nicht mit schwierigen Sachen auseinandersetzen zu müssen? Oder bedeutet Glück, das Leben leben zu können, das sich gut für einen anfühlt? Das gelingt einem besser, wenn man weiss, was einen innerlich leitet.
Was bedeutet Liebe, Frau Ambauen?
Sie: Es ist eine Grundhaltung. Ich fasse Liebe mittlerweile grösser. Liebe ist das, woraus wir Menschen sehr viel Kraft schöpfen. Etwas unglaublich Basales und etwas sehr viel Grösseres als reine Paarliebe.
Er: Mir fiel als Erstes ein: mit einer Tasse Kaffee aufs Meer blicken. Das klingt wie ein misslungener Kalenderspruch. Aber vom Gefühl her geht es darum, mit den Dingen mitzuschwingen, um Resonanz.
Apropos Liebe. Das Fest der Liebe steht vor der Tür, die Zeit, in der wir mit Schwiegereltern in überhitzten Stuben um den Baum sitzen. Warum kommt es so häufig zu Konflikten? Sind wir zu ichbezogen und haben verlernt, uns in Ruhe zu lassen?
Er: Die Frage impliziert, dass es irgendwann anders war, was nicht so ist. Weihnachten kann eine Horrorshow sein, weil wir die Disney-Variante dieses Festes im Kopf haben und den Erwartungen nicht gerecht werden. Und weil wir uns mit Menschen umgeben, die uns triggern: Partnerinnen, Kindern, Eltern. Wir fallen in alte Muster und sind plötzlich wieder acht Jahre alt. Deshalb die Streitereien.
Sie: Man sollte aufhören, an Weihnachten Dinge zu tun, die man gar nicht will, da wäre vielen geholfen.
Warum hat man das Gefühl, dass die Schweiz nicht so gut ist in der Liebe?
Sie: Finden Sie?
In der Schweiz verkümmert die Liebe. Es gibt kaum Schweizer Liebesromane, keine kitschigen Liebesfilme. Selbst die Hochzeiten sind wenig pompös.
Sie: Stimmt, es wäre schön, wenn die Liebe mehr Lebensbereiche durchdränge. Schematherapeutisch würde ich sagen: Typisch schweizerisch ist eine starke Ausprägung in der Domäne fünf. Auf gut Deutsch: Wir nehmen alles ein wenig zu ernst. In der Domäne fünf geht es um emotionale Gehemmtheit. Hinzu kommt der Perfektionismus, das Leistungsstreben. Das kindliche Im-Moment-Sein kommt zu kurz: Spiel, Spass. Davon erlauben wir uns zu wenig.
Sagen wir doch. Miese Lover sind wir.
Sie: Wir sind vielleicht zurückhaltender und in einem gewissen Bewältigungsstil gefangen, wenn es nicht klappt mit dem Lieben. Das war auch bei uns beiden so, bei mir und Amel mit seinem Balkan-Hintergrund.
Er: Was?!
Sie: Man sieht das beim Streiten und an der Katzendiskussion. Er geht mehr in den Fight, wie es in Balkanländern oder südeuropäischen Kulturen eher erlaubt ist, ich vermeide, wie ich es typisch schweizerisch gelernt habe. Aber ob das eine oder andere besser ist? Es ist anders. Ich glaube, auch wir in der Schweiz sind gut im Lieben, wir müssen nur lernen, unsere Masken abzulegen, die wie Rüstungen wirken und uns zwar vor Verletzlichkeit schützen, aber auch Intimität verhindern.
Was haben Sie vom bosnischen Teil Ihrer Familie über die Liebe gelernt, Herr Rizvanovic?
Er: Dass Leidenschaft, Liebe und Familie ganz wichtige Werte sind. Dass man über sie redet und sie zeigt. Dass Liebe etwas Fundamentales im Leben ist.