«Ich bin eine stolze Schlampe»
Teil 4: Eine Lesbe weigert sich, zu hassen
Die Neu-Nationalrätin Anna Rosenwasser, das Gesicht der Schweizer LGBTIQ-Szene, über Häme, Hass und Heimatliebe.
Interview: sacha batthyany & rafaela roth
NZZ am Sonntag Magazin, 28. Januar 2024
Frau Rosenwasser, Sie waren lange Zeit LGBTIQ-Aktivistin, kämpften für die Ehe für alle und die Liebe queerer Menschen. Seit zwei Monaten sind Sie Nationalrätin und sitzen im Bundeshaus. Sind Sie die erste Liebesministerin der Schweiz?
Anna Rosenwasser: Eine phantastische Frage und ein phantastischer Weg, dafür zu sorgen, dass man mich noch weniger ernst nimmt in Bern!
Das Private ist politisch, das sagen Sie doch immer.
Es gab im Parlament schon viele vor mir, die sich dafür einsetzten, dass Menschen lieben dürfen, wen sie wollen. Aber klar: Mein Fokus waren queere Themen und Feminismus. Queerer Feminismus setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch sich selber sein darf und ein Leben in Selbstbestimmung führen kann.
Warum denken Sie, dass Sie in der Politik nicht ernst genommen werden?
Ich bin eine Frau, und ich bin erst 33 Jahre alt. Ich war eine Influencerin und auf einer Plattform aktiv, nämlich Instagram, auf der viele Frauen sind und die als nicht seriös gilt, natürlich werde ich nicht ernst genommen. Twitter hingegen wird als superseriös dargestellt, dabei ist es eine feindselige Plattform, auf der vor allem Männer besonders laut sind. Dazu kommt, dass ich mich bisher vor allem für ein Thema einsetzte, das aus patriarchaler Sicht lächerlich gemacht wird: Rechte für queere Menschen. Ich spreche nicht nur über Schwule und Lesben, sondern auch über Menschen, deren Geschlechtsidentität sich ausserhalb der Binarität befindet. Da ist es doch klar, dass man versucht, meine Glaubwürdigkeit herabzusetzen. Es ist eine Strategie, die gegen viele junge Frauen angewendet wird, um sie anzugreifen, weil man sich zu Recht in der eigenen Vormachtstellung bedroht fühlt.
Sie haben es im Parlament mit Menschen zu tun, die anders denken, lieben und leben als Sie. Fühlen Sie sich zuweilen wie eine Ethnologin, die ein fremdes Volk erforscht?
Mir gegenüber sitzt Nik Gugger von der EVP. Er meinte, er habe mich beobachtet während der ersten Wochen. Ich würde umherblicken wie Alice im Wunderland. Abgesehen davon, dass ich es selten eine gute Idee finde, einen Satz zu beginnen mit: «Ich habe dich beobachtet» – hat er recht. Ich nehme das Ganze wie Alice im Wunderland wahr, aber das ist nicht abwertend gemeint.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Dass im Nationalratssaal immer angesagt wird, wenn jemand Geburtstag hat, und dann alle klatschen.
Haben Sie bereits gespürt, dass Politik ein schmutziges Geschäft ist?
Ich bin aus dem Aktivismus sehr herzliche Allianzen gewohnt, in denen persönliche Nähe und Nähe in der politischen Haltung gerne enthusiastisch vermischt werden. Dieser Wechsel ist happig. Ich bin die Allgegenwärtigkeit von Strategie und Taktik noch nicht gewohnt. Das ist jetzt noch nicht das, was gemeinhin als schmutzige Politik gilt, aber es fühlt sich weniger sauber an als genuine Herzlichkeit. In aktivistischen Kreisen bist du auch mal an einer Demo mit deinem halben Freundeskreis. Das ist nicht konfliktfrei, aber es ist das, was ich gewohnt bin.
Es gibt das Sprichwort: «Feind, Todfeind, Parteifreund.»
Ich will in meinen Genossinnen keine Feindinnen vermuten. Das tut meinem Herzen nicht gut.
Gibt es Homophobie im Bundeshaus?
Diskriminierungen sind ja nicht nur offensichtliche Gemeinheiten, sondern auch innere Haltungen. Wir alle, ich inklusive, haben queerfeindliche Haltungen verinnerlicht, deren wir uns nicht bewusst sind. Also ja, es gibt Queerfeindlichkeit im Bundeshaus, so wie es Queerfeindlichkeit in jedem Café gibt. Ich vermute aber, Sie wollen wissen, ob ich schon beleidigt wurde. Bis jetzt lautet die Antwort: Nein. Was hingegen dauernd passiert, sind sexistische Bemerkungen, bei denen ich denke: Kollegen, ihr fühlt euch zu sicher in diesen Nationalratssesseln.
Zum Beispiel?
Sage ich nicht, ich muss erst die Strategie dahinter begreifen. Es sind abwertende Bemerkungen vor allem über das Aussehen, die man über gestandene Herren nicht machen würde.
Schon angebaggert worden in der Wandelhalle?
Hach, nein.
Wie viele Jahre vergehen, bis wir eine queere Bundesrätin haben?
Die Schweiz überschätzt sich gerne, was die eigene Offenheit angeht. Wir meinen, wir seien modern, aber eigentlich sind wir nur reich. Das ist nach kapitalistischen Standards modern, aber nicht im gesellschaftspolitischen Sinn. Bei 49 europäischen Ländern ist die Schweiz auf Platz 20, was LGBTIQ-Rechte angeht. Wir sind enttäuschendes Mittelmass.
Wann haben Sie sich zum letzten Mal für dieses mittelmässige Land geschämt?
Ich bin kein Fan von Scham. Es gibt Momente, in denen ich Abstimmungsergebnisse bedauere. Dann bin ich traurig oder enttäuscht darüber, wie die Mehrheit der Wählenden denkt. Aber es sind Menschen aus Fleisch und Blut, angetrieben von Hoffnung oder Gefühlen der Angst und Bedrohung, so wie ich auch.
Lieben Sie die Schweiz?
Sollte man ein Land lieben? Ich habe mir noch nie überlegt, ob ich ein Land lieben kann.
Aber es gibt doch so etwas wie Heimatliebe. Sind Sie Patriotin?
Ich zähle ganz viele Sachen zu meiner Heimat. Meine Freundschaften sind meine Heimat, Ostschweizer Dialekt ist meine Heimat. Lustigerweise habe ich im Bundeshaus zum ersten Mal in meinem Leben patriotische Gefühle empfunden. Ich musste sie erst einordnen, weil ich sie gar nicht kannte. Ich betrat diesen Saal als Volksvertreterin für 92000 Leute. Da habe ich sehr viele Formen von Liebe empfunden und auch ein patriotisches Tränchen verdrückt.
Was bedeutet Liebe, Frau Rosenwasser?
Anziehung und Solidarität – im weitesten Sinn. Mir ist es wichtig, das Konzept von Liebe wegzubringen vom romantischen Fokus. Freundschaften zum Beispiel sind eine bedeutsame Form der Liebe. Aber auch Solidarität, ein bedingungsloses Unterstützen von Leuten, denen es anders geht als einem selbst. Ich spreche nicht von Helfen, da ist eine Hierarchie drin, sondern von Unterstützen. Liebe ist für mich ein kollektives Fühlen. Ich finde es unabdingbar, von der Vereinzelung ins Gemeinsame zu kommen.
Womit wird sie häufig verwechselt, die Liebe?
Mit Abhängigkeit. Und mit Aufmerksamkeit. Mir ist wichtig, gerade als öffentliche Person, darauf hinzuweisen, dass Aufmerksamkeit eben nicht Liebe ist.
Zurück zu Ihrem patriotischen Tränchen: Fühlten Sie so etwas wie Stolz, als Sie das erste Mal diesen Nationalratssaal betraten: eine Art Selbstliebe?
Gott sei Dank gebe ich dieses Interview nicht in meiner PMS-Woche vor meiner Mens, ich hätte ja nur geheult bei diesen Fragen.
Es wird noch schlimmer.
Es war kein Stolz. Vielmehr erinnerte ich mich daran, warum ich da bin und für wen ich da bin und warum die Menschen, die versuchen, mich zu bremsen und kleinzumachen, nicht recht haben. Ihnen nicht zu glauben, ist für mich die präsenteste Form der Selbstliebe.
Lieben Sie sich?
Ja.
Wofür?
Aus feministischem Trotz. In einer Welt, die mir einreden will, dass ich keinen Wert habe, ist, mich selber zu lieben, ein Akt des Widerstands. Ich arbeite mein ganzes Erwachsenenleben schon daran, mich besser auszustehen. Ich finde das ein gutes Wort, besser als Selbstliebe. Ich peile seit Jahren an, mich weniger zu hassen, und bin auf einem guten Weg. Das ist einer der Gründe, warum ich keinen Alkohol trinke: Je weniger Zeit ich damit verbringe, zu bedauern, wie ich mich verhalten habe, desto mehr kann ich mich ausstehen. Man spricht innerhalb der queeren Bewegung von «Queer Joy», der Praktik, das Leben und die eigene Existenz zu feiern, als Antwort auf den Hass. Ich gehe beispielsweise sehr gerne in den queeren Ausgang. Wir müssen uns nicht erklären, sondern wir feiern, dass es uns gibt. Ich finde es wahnsinnig schön als Frau, Frauen zu lieben, und ich kann es jedem Menschen von Herzen empfehlen.
Davor waren Sie mit Männern zusammen. Ist die Liebe zu Frauen eine andere?
Ich bin noch immer bisexuell und fühle mich zu Männern hingezogen, aber es fühlt sich anders an. Das ist schwierig in Worte zu fassen. Die Dynamiken unter Frauen sind andere. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich nicht heterosexuell sein wollen.
Behaarte Frauenbeine sind . . .
Behaarte Körperteile sind weicher zu streicheln!
Sie sind Feministin. Von welchen Frauen fühlen Sie sich verraten?
Ich fühle mich von Menschen verraten, die Isolation statt Solidarität wählen. Und ich fühle mich vom Patriarchat verraten, weil uns beigebracht wird, uns unsolidarisch zu zeigen mit anderen Frauen.
Es ist bekannt, dass Sie im Vergleich zu anderen Politikerinnen und Politikern sehr viel mehr Hassbotschaften erhalten. Können Sie ein Psychogramm des typischen Absenders erstellen?
Mir ist es wichtig, dass man zwischen Hass und Wut unterscheidet. Ich erhalte auch wütende Botschaften von Frauen, weil sie sich von mir vertreten fühlen und Ansprüche haben. Wut kann eine Form von Vertrauen sein: Es braucht bei Frauen viel mehr, bis sie ihre Wut nach aussen tragen. Wut hat die Funktion, aufzuzeigen, wann eine Grenze überschritten worden ist. Der Hass hingegen kommt häufiger von Männern mit ganz normalen Schweizer Vornamen wie Reto. Ich betone das, weil von rechts gerne angeführt wird, dass Queerfeindlichkeit und Frauenfeindlichkeit von Ausländern kämen. Aber es sind die Retos, nicht die Murats, die mir ihren Hass übermitteln.
Und welches Problem hat Reto mit Ihnen?
Die allermeisten von uns wachsen mit dem Konzept auf, dass Mann und Frau zusammengehören. Das Konzept gibt Stabilität und eine Perspektive für die Zukunft. Wer es infrage stellt, wie ich, der destabilisiert. Und in unsicheren Zeiten, in denen uns viele Dinge destabilisieren, sind wir froh, dass gewisse Dinge eben immer gelten. Das ist der eine Grund.
Und der andere?
Die vielen Retos, die mir schreiben, müssen mir beweisen, wie unfassbar hetero sie sind, wahrscheinlich weil sich einige schon vom gleichen Geschlecht angezogen fühlten. Deshalb die Abgrenzung: Es gibt nichts Heterosexuelleres als Homo-Hass.
Die feministische Comedienne Sophie Passmann sagt: «Euer Hass ist mein Antrieb.» Ist das bei Ihnen auch so?
Nein. In der Wut liegt ein grosses politisches Potenzial, das ich für meine aktivistische und politische Arbeit nutze, obwohl ich persönlich sehr selten Wut empfinde. Mein Antrieb ist die Liebe. Gestern schenkte mir eine 20-jährige Frau ein selbstgebasteltes Heft mit der Geschichte einer Kuh, die ins Bundeshaus geht, wo sie dann mich trifft und wir uns gemeinsam für Tierrechte einsetzen. Und auf dem Weg in die Migros haben mich heute drei junge Frauen angestrahlt. Ist das nicht zum Weinen schön?
Gibt es Leute in Ihrer Bubble, die Mühe haben, dass Sie mit Rechten reden – und eher finden, man sollte gewissen Leuten, wie etwa dem SVP-Hardliner Andreas Glarner, den Handschlag verweigern?
Sicher gibt es das, ich habe dafür Verständnis, aber ich teile die Meinung nicht und gebe jedem die Hand. Ich mag auch Menschen, die aktiv dazu beitragen, diese Welt zur Hölle zu machen.
Sagen Sie, ist Ihr Charme strategisch?
Ich könnte mich nicht den ganzen Tag mit Gewalt, Ungerechtigkeit und Bedrohungen beschäftigen, wenn ich Menschen nicht so stur gernhaben würde. Es ist die einzige Art, wie ich dem Negativen gerecht werde, indem ich das Positive auch empfinde – und diese Widersprüchlichkeit in der Gleichzeitigkeit zulasse. Ich bin nicht nur Feministin geworden, um ständig hässig zu sein.
Es gibt wenig öffentlich geoutete queere Politikerinnen. Aber es gibt die Chefin der ultrarechten AfD in Deutschland: Alice Weidel. Was haben Sie mit ihr gemeinsam, abgesehen davon, dass Sie Frauen lieben?
Wir erleben beide mehr Hass, weil wir als queere Frauen in der Öffentlichkeit stehen. Das schafft ein Verbundenheitsgefühl, auch mit Alice Weidel, das ich nicht ablegen kann und auch nicht ablegen will.
Sie sagten, Sie spürten selten Wut. Was ist mit anderen negativen Gefühlen: Eifersucht, Abscheu, Neid?
Ich habe sehr viel Angst, aber Angst führt zu Isolation. Wut hingegen ist in meinem Leben mehr Konzept als Emotion. Neid habe ich mittlerweile gern und habe gelernt, anzusprechen, wenn ich auf jemanden neidisch bin, weil es Nähe erzeugt, was das Gefühl allerdings nicht angenehmer macht. Aber Hass? Ich hasse mehlige Äpfel. Und ich hasse es, zu frieren. Mir sind manche Menschen unsympathisch, aber es ist nie Hass.
Wovor haben Sie so viel Angst?
Ich habe eine Angststörung, aber darüber möchte ich nicht reden.
Kennen Sie Selbstmordgedanken?
Nein. Aber ich habe mit dem Thema zu tun, weil queere Menschen eine fünfmal höhere Suizidalität haben. Ich lebe meistens sehr gern.
Sie lassen einen nicht ganz an sich ran, haben wir den Eindruck. Schon einmal den Vorwurf gehört, Sie würden Ihre Gefühle intellektualisieren?
Ich schreibe viel über Gefühle und denke über sie nach, möglich, dass ich sie intellektualisiere, was aber auch zu meiner Aufgabe gehört. Journalistinnen gegenüber überlege ich natürlich, welche Aspekte meiner Person politisch relevant sind.
Nehmen Sie uns mit auf Ihren Liebesweg: erster Kuss, erste Schmetterlinge im Bauch, erster Herzschmerz?
Ich war in meinem Leben sehr oft und sehr glücklich verliebt und habe platonische, romantische und sexuelle Anziehung in so vielen Formen erleben dürfen. Das hat mich geprägt. Deshalb ist es zu meinem thematischen Fokus geworden. Und ich möchte an einen feministischen Diskurs anschliessen, wenn ich sage: Ich bin und war immer eine stolze Schlampe – und zwar sehr gerne. In der politischen Bedeutung, dass es mir wichtig ist, die Abwertung aus der sexuellen Selbstbestimmung zu nehmen.
Haben queere Menschen den besseren Sex?
Queere Menschen haben einen erleichterten Zugang zur Frage, was Sex alles sein kann. Viele Sachen, die queere Menschen im Bett tun, können Mann-Frau-Duos auch machen. Ich werde oft gefragt, wie Lesben Sex haben. Darauf antworte ich: so wie heterosexuelle Menschen auch Sex haben könnten, wenn sie sich nur etwas Mühe geben würden.
Wann zum letzten Mal einen Mann geküsst?
Vor einem Jahr.
Das Beste an Microdosing LSD ist . . .
Keine Ahnung. Ich microdose Koffein.
Wie haben Sie Ihre Partnerin kennengelernt?
Bei unserem ersten Treffen sprang der Funke noch nicht über. Dann hatten wir aber doch noch ein Date, und als ich sie sah, spürte ich diese extreme Anziehung. Ich war nicht auf der Suche nach einer Liebesbeziehung, ich war davor auch noch nie in einer Beziehung mit einer Frau gewesen und wusste nicht, ob ich das überhaupt wollte. Tja, das war vor sieben Jahren.
Warum heiraten Sie nicht, jetzt, da es möglich ist?
Wir haben überlegt, was von der Ehe für uns passt, also eine Art Best-of, haben letzte Woche ein paar Dokumente gewälzt, Testament, Patientenverfügungen, und uns entschieden, dass wir einander «meine Frau» nennen. Also nicht Partnerin, was klingt, als wären wir 53 und hätten ein Startup gegründet.
Die Ehe bindet. Deshalb gehen Sie sie nicht ein?
Ich habe mich nicht für die Ehe für alle eingesetzt, um sie jetzt scheisse zu finden. Aber ich möchte nicht, dass die rechtliche Form es mir erschwert, eine Beziehung zu beenden. Ich möchte mir in aller Freiheit immer die Frage stellen können: Ist diese Beziehung gut? Tut sie mir gut? So gesehen, ist die Scheidung ein Erfolgsmodell, weil man ein zwischenmenschliches Verhältnis verlässt, das nicht mehr stimmt.
Wer sind Sie innerhalb Ihrer Familie?
Ich bin eine dreifache grosse Schwester. Und im Moment bin ich zu sehr die Nationalrätin.
Was heisst das?
Das ist das, was passiert, wenn man Berufe hierarchisiert. Wäre ich Sexarbeiterin, würde der Respekt anders ausfallen, obwohl ich überzeugt bin, dass Sexarbeiterinnen nicht weniger Respekt verdient haben als Nationalrätinnen.
In der Verwandtschaft sind Sie jetzt eine Berühmtheit: Sind Sie eher Queen oder schwarzes Schaf?
Mein Privileg ist, dass meine Verwandtschaft anerkennt, dass Schafe alle möglichen Fellfarben haben.
Sie haben in Ihrem «Rosa Buch» ein kritisches Gedicht geschrieben an Ihren Vater. Sie wünschten sich, dass er stolz auf Sie wäre. Lieben Sie ihn?
Diese Frage ist mir zu persönlich.
Warum?
Im Gedicht geht es auch darum, dass Gleichgültigkeit nicht die Antwort ist auf die Existenz queerer Menschen, sondern dass man anerkennt, welchen Schwierigkeiten sie ausgesetzt sind. Ich habe mich entschieden, ein Gedicht über die Ablehnung eines Elternteils zu veröffentlichen, weil ganz viele queere Menschen ähnliche Erfahrungen durchleben mussten. Die Ablehnung kommt häufiger vom Vater, weil Queerfeindlichkeit zur männlichen Sozialisierung gehört.
Können Menschen, die noch nie in der Psychotherapie waren, lieben?
Was ist das für eine Frage?
In der Vorbereitung klang sie gut.
Die Antwort lautet: Ja. Denn nicht alle haben Zugang zu Therapien, und sie sind trotzdem fähig zu lieben. Aber ich denke, Selbstreflexion und gute Therapeutinnen helfen einem, die eigenen Muster zu erkennen und das Verhältnis zu Bindung und Nähe zu hinterfragen, und führen dazu, gesündere zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen.
Gehen Sie in Paartherapie?
Aus Respekt davor, was es alles bedeutet, in einer Beziehung zu sein, nicht weil es uns schlechtgeht, ja.
Sie haben einen rasanten Aufstieg hinter sich, sind erfolgreiche Autorin und Nationalrätin – und erst 33. Was machen Sie eigentlich mit 50?
Ich strebe ganz sicher keine Macht an. Macht sagt mir nichts, Verantwortung schon. Ich habe neulich meine Wünsche für das Jahr 2024 manifestiert: Ich will vor allem mit hotten Leuten rummachen, Sport treiben und mich mit Dingen beschäftigen, die mein Leben bereichern. Aber mit 50? Ich habe keine Ambitionen. Ich will weder Ständerätin werden noch 100000 Follower haben. Vielleicht Velomechanikerin? Nachhilfelehrerin? Ich hoffe, ich kann in den Spiegel blicken und denken: Was für ein geiler Siech.